BGH eröffnet Möglichkeit zur Kündigung von Vertragsstrafeversprechen

Der BGH hat mit Urteil vom 14. Februar 2019 – I ZR 6/17 – entschieden, dass rechtsmissbräuchliches Verhalten bei einer Abmahnung einen wichtigen Grund für die Kündigung einer auf der Abmahnung beruhenden Unterlassungsvereinbarung darstellen kann. Bei einem aufgrund missbräuchlicher Abmahnung abgeschlossenen Unterlassungsvertrag steht der Geltendmachung von Vertragsstrafen für Verstöße, die der Schuldner vor der Kündigung des Vertrags begangen hat, der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegen.

Bisher galt die Verpflichtung, die jemand aufgrund einer Abmahnung wegen rechtswidrigem Verhalten abgegeben hat als unkündbar. Insbesondere im kaufmännischen Verkehr galten solche Unterlassungserklärungen bis zum „Sanktnimmerleinstag“. Nun hat der BGH aufgezeigt, dass solche Unterlassungsverpflichtungen mit Vertragsstrafe im Einzelfall eben sehr wohl kündbar sind. Die Entscheidung stammt aus dem Bereich des Wettbewerbsrechts, sollte aber mit Vorsicht auch auf Sachverhalte aus dem Urheberrecht oder sonstige Schutzrechte übertragen werden können.

Dauerschuldverhältnisse – und dazu zählen auch Unterlassungsvereinbarungen – kann nach § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt nach § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Der BGH urteilt, dass ein rechtsmissbräuchliches Verhalten bei einer Abmahnung einen wichtigen Grund für die Kündigung einer auf der Abmahnung beruhenden Unterlassungsvereinbarung darstellen kann.

Das Recht zu einer solchen Kündigung ist eben nicht auf die Fälle zu beschränken, in denen der dem vereinbarten Verbot zugrunde liegende gesetzliche Unterlassungsanspruch aufgrund einer Gesetzesänderung oder einer höchstrichterlichen Leitentscheidung nunmehr eindeutig als rechtmäßig zu beurteilen sei. Den früheren Urteilen des BGH (z.B. BGH GRUR 2014, 797) sei gerade nicht zu entnehmen, dass allein der Wegfall des dem vertraglich vereinbarten Verbot zugrundeliegenden gesetzlichen Unterlassungsanspruchs einen wichtigen Grund für die Kündigung eines Unterlassungsvertrags wegen Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung bildet. Vielmehr kann ein Unterwerfungsvertrag nach § 314 Abs. 1 BGB auch aus anderen Gründen ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Unter diesen Voraussetzungen kann auch der Umstand, dass ein Unterwerfungsvertrag auf einer rechtsmissbräuchlichen Abmahnung beruht, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung bilden.

Von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG sei auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde Ziele seien wie etwa das Interesse, Gebühren zu erzielen oder den Gegner durch möglichst hohe Prozesskosten zu belasten oder ihn generell zu schädigen. Ein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung könne sich unter anderem daraus ergeben, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zu der gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden stehe.

Von einem Missbrauch im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG ist auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind. Diese müssen allerdings nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein; vielmehr reicht es aus, dass die sachfremden Ziele überwiegen. Die Annahme eines derartigen Missbrauchs erfordert eine sorgfältige Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände. Ein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung kann sich daraus ergeben, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zu der gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht, der Anspruchsberechtigte die Belastung des Gegners mit möglichst hohen Prozesskosten bezweckt oder der Abmahnende systematisch überhöhte Abmahngebühren oder Vertragsstrafen verlangt. Ebenso stellt es ein Indiz für ein missbräuchliches Vorgehen dar, wenn der Abmahnende an der Verfolgung des beanstandeten Wettbewerbsverstoßes kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse haben kann, sondern seine Rechtsverfolgung aus der Sicht eines wirtschaftlich denkenden Gewerbetreibenden allein dem sachfremden Interesse dient, die Mitbewerber mit möglichst hohen Kosten zu belasten. Das ist etwa der Fall, wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Abmahngeschäft „in eigener Regie“ betreibt, allein um Gebühreneinnahmen durch die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen zu erzielen (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2018 – I ZR 248/16, GRUR 2019, 199 Rn. 20 und 21 = WRP 2019, 180 – Abmahnaktion II). Als Indiz für eine unredliche Abmahntätigkeit kann auch gelten, wenn nach den gesamten Umständen sich die Vermutung eines kollusiven Zusammenwirkens zwischen dem Kläger und den von ihm beauftragten Anwälten aufdrängt, bei dem der Kläger sich dafür hergegeben hat, den Anwälten eine Gebühreneinnahmequelle zu verschaffen.

Ein solches objektives Missverhältnis zwischen dem Umfang der Verfolgungstätigkeit und dem Umfang der geschäftlichen Aktivitäten kann den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs auch beim Fehlen eines kollusiven Zusammenwirkens mit dem Anwalt rechtfertigen. Nach § 8 Abs. 4 UWG kommt es auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls an. Ein missbräuchliches Verhalten kann sich daher unabhängig von einem kollusiven Zusammenwirken mit einem Anwalt auch aus anderen Umständen ergeben. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sich die Abmahn- und Prozesstätigkeit angesichts der wirtschaftlichen Lage des Abmahnenden nach der Lebenserfahrung allein mit dem Motiv erklären lässt, Ansprüche auf Ersatz von Aufwendungen oder Rechtsverfolgungskosten sowie aus Vertragsstrafeversprechen zu erlangen. Die Entscheidung der Frage, ob ein Missbrauch im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG vorliegt, erfordert eine vom Tatrichter auf der Grundlage des beiderseitigen Parteivorbringens vorzunehmende Beurteilung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls.

Nach § 314 Abs. 3 BGB kann der Berechtigte nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat. Eine Kündigung innerhalb von 2 Monaten ist nach Ansicht des BGH aber noch rechtzeitig.

Die Frage, ob ein aufgrund missbräuchlicher Abmahnung abgeschlossener Unterlassungsvertrag nicht nur nach § 314 BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, sondern der Geltendmachung von Vertragsstrafen für Verstöße gegen die Unterlassungspflichten, die der Schuldner vor dem Wirksamwerden seiner Kündigung begangen hat, auch der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegensteht, ist umstritten. Der Bundesgerichtshof hatte sie bislang noch nicht zu entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2011 – I ZR 174/10, GRUR 2012, 730 Rn. 38 = WRP 2012, 930 – Bauheizgerät; GRUR 2012, 949 Rn. 22 – Missbräuchliche Vertragsstrafe).

Der Geltendmachung von Vertragsstrafen wegen Verstößen gegen
eine aufgrund einer missbräuchlichen Abmahnung abgeschlossene Unterlassungsvereinbarung kann schon vor deren Kündigung der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehen. Verhaltensweisen, die der gerichtlichen Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche nach § 8 Abs. 4 UWG entgegenstehen könnten, schließen Vertragsstrafenansprüche zwar nur aus, wenn sie für die Abgabe der Unterwerfungserklärung ursächlich gewesen sind oder mit dieser jedenfalls im Zusammenhang stehen; bei äußeren Umständen, die den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs begründen, ist dies aber der Fall. Soweit die Heranziehung des § 242 BGB in entsprechenden Fällen davon abhängig gemacht wird, dass das Nichtbestehen des Anspruchs eindeutig zu erkennen gewesen sei, steht dies im Streitfall
nicht entgegen, weil die Vielzahl und die Dichte der hier für einen Rechtsmissbrauch sprechenden Indizien die Nichtberechtigung der Abmahnung des Klägers eindeutig erkennen lassen.

Bei Vertragsstrafenansprüchen aus einer Unterlassungsvereinbarung im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu prüfen ist, ob das Verhalten des Abmahnenden vor, bei und nach der Abmahnung den Schluss rechtfertigt, dass deren Geltendmachen gegen Treu und Glauben verstößt. Im Streitfall hat der Kläger nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen seine umfassende Abmahntätigkeit allein zu dem Zweck, unter anderem Vertragsstrafeversprechen zu generieren, und angesichts seiner desolaten Vermögensverhältnisse in dem Bewusstsein betrieben, dass die Abgemahnten gegen ihn selbst im Falle eines Prozessgewinns keine Kostenerstattungsansprüche würden realisieren können. Für eine unzulässige Rechtsausübung spricht im Streitfall zudem der Umstand, dass sich der Kläger hier auf eine formale Rechtsposition beruft, die er durch sein gesetzwidriges Verhalten erlangt hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 1971 – VIII ZR 165/69, BGHZ 57, 108, 111 [juris Rn. 9]; Beschluss vom 20. März 2013 – XII ZB 81/11, NJW 2013, 1676 Rn. 18; Urteil vom 27. Februar 2018 – VI ZR 109/17, NJW 2018, 1756 Rn. 20; Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl., § 242 Rn. 43).

Es empfiehlt sich daher, vorhandene Unterlassungserklärungen auf deren Kündbarkeit zu überprüfen. Wichtig ist, dass dies nur im Einzelfall zu prüfen ist und eine fälschlich erklärte Kündigung auch die Wiederholungsgefahr aufleben lassen kann.

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