BGH: Filesharing verjährt erst nach 10 Jahren
Der Beklagte war im November und Dezember 2007 Inhaber eines über eine WLAN-Verbindung herzustellenden Internetzugangs, an den ein Rechner angeschlossen war, der vom Beklagten, seiner Ehefrau und den seinerzeit 15 und 17 Jahre alten Kindern des Beklagten genutzt wurde. Der Router war mit einer WPA2-Verschlüsselung versehen.
Gegen den Schadensersatzanspruch der Musikrechteinhaber hatte der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben, da vom Zeitpunkt des downloads bis zur Klageerhebung mehr als drei Jahre verstrichen waren. Der BGH hat aber entschieden, dass die Regressansprüche in jenem Fall noch nicht verjährt seien. Nach § 102 Satz 1 UrhG, § 195 BGB gilt im Urheberrecht zwar die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren. Diese Frist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB aber erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (BGH, Urteil vom 15. Januar 2015 – I ZR 148/13, GRUR 2015, 780 Rn. 21 = WRP 2015, 972 – Motorradteile; LG Frankfurt am Main, GRUR-RR 2015, 431, 435). Gemäß § 102 Satz 2 UrhG findet aber auch § 852 BGB entsprechende Anwendung, wenn der Verpflichtete durch die Verletzung auf Kosten des Berechtigten etwas erlangt hat. Danach ist der Ersatzpflichtige auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer Verletzung des Urheberrechts entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet (§ 852 Satz 1 BGB). Dieser Anspruch verjährt nach § 852 Satz 2 BGB in zehn Jahren von seiner Entstehung an und ohne Rücksicht auf seine Entstehung in 30 Jahren von der Begehung der Verletzungshandlung oder dem sonstigen den Schaden auslösenden Ereignis an (BGH, Urteil vom 15. Januar 2015 – I ZR 148/13, GRUR 2015, 780 Rn. 28 = WRP 2015, 972 – Motorradteile).
Entgegen einer in der Instanzrechtsprechung vertretenen Ansicht (LG Bielefeld, GRUR-RR 2015, 429 und ZUM 2016, 458; AG Düsseldorf, Urteil vom 13. Januar 2015 – 57 C 7592/14, juris Rn. 18; AG Frankenthal, Urteil vom 30. Oktober 2014 – 3a C 198/14, juris; a.A. OLG Düsseldorf, Urteil vom 3. Dezember 2013 – 20 U 138/12, juris; LG Frankfurt am Main, GRUR-RR 2015, 431) gelten diese Grundsätze auch für das widerrechtliche öffentliche Zugänglichmachen eines urheberrechtlich geschützten Werks durch Bereitstellen zum Herunterladen über eine Internettauschbörse. Mithin konnte die Rechteinhaberin die geforderte Lizenzgebühr gemäß § 102 Satz 2 UrhG, § 852 Satz 1 BGB auch noch nach Verjährung des Schadensersatzanspruchs herausverlangen.
Der BGH hat auch noch einmal darüber entschieden, dass die tatsächliche Vermutung auch dann für die Täterschaft des Anschlussinhabers spricht, wenn es in einem Haushalt – wie im Streitfall – einen von mehreren Personen genutzten „Familienanschluss“ gebe. Die bloße Behauptung der Möglichkeit, ein Dritter könne die Rechtsverletzung begangen haben, schließt das Eingreifen einer tatsächlichen Vermutung der Täterschaft des Anschlussinhabers nicht aus. Der BGH verlangt vielmehr erneut von einem Anschlussinhaber plausiblen Vortrag dazu, dass sein Internetanschluss von Dritten – wie hier von den Kindern – zur Teilnahme an Tauschbörsen habe genutzt werden können.
Nach den allgemeinen Grundsätzen tragen die Rechteinhaber wie Musikverlage die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs erfüllt sind. Sie haben darzulegen und im Bestreitensfall nachzuweisen, dass der Anschlussinhaber für die von ihnen behauptete Urheberrechtsverletzung als Täter verantwortlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2012 – I ZR 74/12, GRUR 2013, 511 Rn. 32 = WRP 2013, 799 – Morpheus; Urteil vom 8. Januar 2014 – I ZR 169/12, BGHZ 200, 76 Rn. 14 – BearShare; Urteil vom 11. Juni 2015 – I ZR 75/14, GRUR 2016, 191 Rn. 37 = WRP 2016, 73 – Tauschbörse III). Allerdings spricht eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keine anderen Personen diesen Internetanschluss benutzen konnten (BGHZ 200, 76 Rn. 15 – BearShare; BGH, GRUR 2016, 191 Rn. 37 – Tauschbörse III).
Eine diese Vermutung ausschließende Nutzungsmöglichkeit Dritter ist anzunehmen, wenn der Internetanschluss zum Verletzungszeitpunkt nicht hinreichend gesichert war oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde. In solchen Fällen trifft den Inhaber des Internetanschlusses jedoch eine sekundäre Darlegungslast. Diese führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast vielmehr dadurch, dass er dazu vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber allerdings im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Rechtsverletzung gewonnen hat (vgl. BGH, GRUR 2016, 191 Rn. 42 – Tauschbörse III; allgemein zur sekundären Darlegungslast BGH, Urteil vom 11. April 2013 – I ZR 61/12, TranspR 2013, 437 Rn. 31). Die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt lebenden Dritten auf den Internetzugang des Anschlussinhabers reicht jedoch ebenso wenig wie der pauschale Hinweis aus, bei den geladenen Musikstücken handele es sich um einen offensichtlich vom Anschlussinhaber nicht geteilten Musikgeschmack.
Der Anschlussinhaber kann vielmehr auch dann als Täter haften, wenn der Internetanschluss – wie bei einem Familienanschluss – regelmäßig von mehreren Personen genutzt wird. Für die Frage, wer als Täter eines urheberrechtsverletzenden Downloadangebots haftet, kommt es nicht auf die Zugriffsmöglichkeit von Familienangehörigen im Allgemeinen, sondern auf die Situation im Verletzungszeitpunkt an (BGH, GRUR 2016, 191 Rn. 39 – Tauschbörse III). Der Inhaber eines Internetanschlusses wird der ihn treffenden sekundären Darlegungslast in Bezug darauf, ob andere Personen als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen, erst gerecht, wenn er nachvollziehbar vorträgt, welche Personen mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des Anschlussinhabers zu begehen.
In dem vom BGH nun entschiedenen Fall gab es eine umfangreiche Beweisaufnahme, bei der sich die Ehefrau des Beklagten leider sehr unglücklich geäußert hat. Denn danach war die Internetnutzung der Kinder im Tatzeitraum auf jeweils eine halbe Stunde pro Tag begrenzt. Dieses Zeitlimit wurde auch eingehalten und die Ehefrau des Beklagten hat die Kinder bei der Internetnutzung regelmäßig im Blick gehabt. Nach ihren bei der Beweisaufnahme gemachten Angaben hat sie im Vorbeigehen immer mal wieder nachgeschaut, was die Kinder gerade am Rechner machten, und hat sich dies auch manchmal erklären lassen. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, die Kinder des Beklagten hätten einen derart selbständigen Zugang zu dem Internetanschluss des Beklagten gehabt, dass sie ernsthaft als Alleintäter der in Rede stehenden Verletzungshandlung in Betracht zu ziehen seien. Auch die Ehefrau habe keinen unbeobachteten Zugang zum einzigen im Wohnzimmer stehenden Rechner gehabt.
Sehr interessant ist das Urteil auch deswegen, weil der BGH noch einmal darauf hinweist, dass eine in der Abmahnung beigefügte fehlerhafte Unterlassungserklärung nicht umgehend zur Fehlerhaftigkeit der Abmahnung und damit zum Regress nach § 97a UrhG führt. Die Formulierung einer Unterlassungserklärung ist Sache des Schuldners (BGH, GRUR 2016, 184 Rn. 59 – Tauschbörse II).
Schließlich bestätigt der BGH noch einmal den Gegenstandswert von 100.000,00 EUR beim download von über 800 aktuellen Musikstücken. Gegenstand der Abmahnung ist ein Unterlassungsanspruch. Der Wert eines solchen Anspruchs bestimmt sich nach dem Interesse des Anspruchstellers an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße. Dieses Interesse ist pauschalierend unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu bewerten (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2013 – I ZR 174/11, GRUR 2013, 1067 Rn. 12 = WRP 2013, 1364 – Beschwer des Unterlassungsschuldners; BGH, GRUR 2014, 206 Rn. 16 – Einkaufskühltasche; BGH, Beschluss vom 11. November 2015 – I ZR 151/14, juris Rn. 7) und wird maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit für den Inhaber des verletzten Schutzrechts bestimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. April 1990 – I ZR 58/89, GRUR 1990, 1052, 1053 – Streitwertbemessung; BGH, GRUR 2013, 301 Rn. 56 – Solarinitiative; Hirsch in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 3. Aufl., Kap. 18 Rn. 28).
Urteil des BGH vom 12.06.2016; „Everytime we touch“ ger. Az: I ZR 48/15