EuGH sieht Datenhandel grundsätzlich als berechtigtes Interesse
Der EuGH ist doch immer für Überraschungen gut. Jahrelang galt die weit verbreitete Meinung, dass die wirtschaftliche Nutzung von personenbezogenen Daten im Adresshandel nur mit zuvor erteilter Einwilligung möglich ist. Das Interesse Adressen zu Werbezwecken zu handeln wurde in den meisten Fällen per se nicht als berechtigtes Interesse nach Art. 6 Abs. 1 lit. f.) DSGVO ausreichen würde. Der EuGH sieht dies -mit Einschränkungen- nun etwas großzügiger. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 4. Oktober 2024 in der Rechtssache C-621/22 befasst sich mit der Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. f der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und der Frage, ob ein wirtschaftliches Interesse an der Offenlegung personenbezogener Daten gegen Entgelt als berechtigtes Interesse im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden kann.
Dem Fall liegt eine typische Verwertung personenbezogener Daten zu Werbezwecken zugrunde. Der Koninklijke Nederlandse Lawn Tennisbond (KNLTB), ein Sportverband, legte im Jahr 2018 personenbezogene Daten seiner Mitglieder gegenüber zwei Sponsoren, der SportshopsDirect BV (TennisDirect) und der Nederlandse Loterij Organisatie BV (NLO), offen. Diese Offenlegung erfolgte ohne die Einwilligung der betroffenen Mitglieder und führte zu einer Geldbuße von 525.000 Euro durch die niederländische Datenschutzbehörde (AP). Der KNLTB erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Bezirksgericht Amsterdam.
Das vorlegende Gericht stellte dem EuGH Fragen zur Auslegung des Begriffs „berechtigtes Interesse“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. f DSGVO. Insbesondere ging es darum, ob ein wirtschaftliches Interesse, das in der Offenlegung personenbezogener Daten zum Zweck der Direktwerbung besteht, als berechtigtes Interesse angesehen werden kann.
Der EuGH stellte fest, dass Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. f DSGVO eine Verarbeitung personenbezogener Daten erlaubt, wenn diese zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person überwiegen. Diese Bestimmung erfordert, dass das geltend gemachte berechtigte Interesse rechtmäßig ist.
Der Gerichtshof betonte, dass ein breites Spektrum von Interessen als berechtigt gelten kann, solange sie nicht gesetzeswidrig sind. Der 47. Erwägungsgrund der DSGVO nennt explizit die Zwecke der Direktwerbung als Beispiel für berechtigte Interessen. Daher kann ein wirtschaftliches Interesse, das in der Offenlegung personenbezogener Daten für Werbezwecke besteht, grundsätzlich als berechtigtes Interesse angesehen werden.
Die Verarbeitung personenbezogener Daten muss zur Verwirklichung des berechtigten Interesses erforderlich sein. Dies bedeutet, dass das berechtigte Interesse nicht in zumutbarer Weise ebenso wirksam mit anderen Mitteln erreicht werden kann, die weniger stark in die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen eingreifen. Der Grundsatz der Datenminimierung, der in Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO verankert ist, verlangt, dass personenbezogene Daten dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das notwendige Maß beschränkt sind.
Die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person dürfen gegenüber dem berechtigten Interesse des Verantwortlichen oder eines Dritten nicht überwiegen. Diese Abwägung hängt vielmehr von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Der Gerichtshof betonte, dass die vernünftigen Erwartungen der betroffenen Person sowie der Umfang und die Auswirkungen der Datenverarbeitung berücksichtigt werden müssen.
Der EuGH entschied dann allerdings im konkreten Fall, dass die Offenlegung personenbezogener Daten durch den KNLTB gegenüber TennisDirect und der NLO nicht als berechtigtes Interesse im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. f DSGVO angesehen werden kann, da die betroffenen Mitglieder nicht vernünftigerweise damit rechnen konnten, dass ihre Daten für Werbezwecke offengelegt werden. Zudem stellte der Gerichtshof fest, dass die Offenlegung der Daten an einen Anbieter von Glücks- und Kasinospielen wie die NLO die betroffenen Personen der Gefahr der Entwicklung einer Spielsucht aussetzen könnte.
Das Urteil des EuGH gibt also dem Adresshandel keinen Freibrief, sondern verdeutlicht eher die strengen Anforderungen an die Verarbeitung personenbezogener Daten auf der Grundlage eines berechtigten Interesses. Ein wirtschaftliches Interesse allein reicht nicht aus, um die Offenlegung personenbezogener Daten zu rechtfertigen. Vielmehr müssen die berechtigten Interessen des Verantwortlichen sorgfältig gegen die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen abgewogen werden. Diese Abwägung sollte in jedem Fall sauber dokumentiert werden und auch in eine Risikofolgeabschätzung verbunden werden.
EuGH; Urteil vom 04.10.2024; ger. Az.: C-621/22